Biografie

Die „Glückselige Mutter“ Anandamayi Ma (Bengali: আনন্দময়ী মা) gilt als eine der herausragendsten spirituellen Meisterinnen Indiens seit dem 20.Jahrhundert.

Sie wurde am 30.April 1896 um 3.30 Uhr morgens in Kheora, einem kleinen Dorf im Distrikt Brahmanbaria im heutigen Bangladesh an der Grenze zu Myanmar geboren. Ihre Mutter Mokshada Sundari Devi und ihr Vater Bipinbihari Bhattacharya waren eher arme Brahmanen und fromme Vaishnavas. Sie gaben ihrem zweiten Kind den Namen Nirmala Sundari Devi (Nirmala: Makellose, Unbefleckte, Reine; Sundari: Schöne; Devi: Göttin). Ihr Vater war vor ihrer Geburt drei Jahre lang als Sänger heiliger Lieder durch das Land gepilgert und ihre Mutter hatte vor der Geburt des Kindes zahlreiche Visionen von Avataren und Gottheiten.

Anandamayi Ma war sich bereits vom Zeitpunkt ihrer Geburt ihres ewigen Selbst bewusst und bemerkte später, dass sie sich nicht aufgrund von persönlichem Karma[1]verkörpert hatte. Sie konnte auch nach Jahren wiedergeben, was sie im Zeitraum ihrer Geburt gesehen hatte. Sie sagte einst zu Paramahamsa Yogananda: „Mein Bewusstein hat sich nie mit diesem vergänglichen Körper identifiziert. Ehe ich auf diese Erde kam, war ich die gleiche. Als kleines Mädchen war ich die gleiche. Ich wuchs zur Frau heran und war immer noch die gleiche. Als die Familie, in der ich geboren wurde, Vorkehrungen traf, diesen Körper[2] zu verheiraten, war ich die gleiche. Jetzt, vor Dir, Vater, bin ich die gleiche. Und in alle Ewigkeit, wie sich der Tanz der Schöpfung um mich herum auch verändern mag, werde ich die gleiche sein.“

Von außen gesehen wuchs Nirmala jedoch zunächst zu einem liebenswerten Mädchen heran, anspruchslos und sehr gehorsam. Sie besuchte nur knapp und mit Unterbrechungen zwei Jahre die Schule, da ihre Mutter sie im Haushalt und zur Beaufsichtigung der jüngeren Geschwister brauchte. Manchmal schien sie etwas abwesend zu sein, z.B. bei Kīrtan (religiösen Gesängen) oder wenn sie unsichtbare Wesen sah oder sich mit Bäumen oder Tieren unterhielt.

Mit zwölf Jahren wurde sie der damaligen Sitte entsprechend mit Ramani Mohan Cakravarti verheiratet, einem Brahmanen und Shakta[3], den sie später „Bholanath“ nannte. Vom 14. Lebensjahr an lebte sie in der Familie ihres Schwagers in Shripur und versorgte dort den Haushalt und die Kinder, bis im 18.Lebensjahr schließlich das gemeinsame Leben mit Bholanath in Ashtagram begann. Bholanath fand Nirmala von einer solchen Aura ehrfurchtgebietender Heiligkeit umgeben, dass eheliche Beziehungen völlig ausgeschlossen waren. Von dieser Zeit an begannen sich außergewöhnliche Zustände in ihr zu zeigen. Sie versank in Ekstase und verlor das Körperbewusstsein, wenn sie Gottes Namen hörte, obwohl sie versuchte, sich diese Symptome nicht anmerken zu lassen.

Von 1917 bis 1923 lebten Nirmalā und Bholānāth in Bajītpur. Dort ereignete sich etwas wie ein „Spiel spiritueller Übungen“ (Sādhanā Līlā) in Nirmalā. Sie zog sich nach der gewissenhaften Erfüllung ihrer Haushaltspflichten zurück und begann, das Mantra „Hari Bol“ und später auf Bitte ihres Mannes „Jai Shiva Shankara Bom Bom Hara Hara“ zu wiederholen. Daraufhin begann ihr Körper spontan, verschiedenste ihr bislang nicht bekannte Yogastellungen einzunehmen, bis er unbeweglich wurde, die Wiederholung des heiligen Namens von selbst aufhörte und eine tiefe Versenkung folgte. Die Menschen ihrer Umgebung verstanden diese Zustände zunächst nicht und zogen sogar Ärzte und Exorzisten zu Rat, die jedoch einsahen, dass es sich bei Nirmalās Symptomen nicht um eine Krankheit, sondern um die Gotteserfahrung einer befreiten Seele handelt. Der Name Gottes sprudelte so unaufhörlich im Einklang mit ihrem Atemrhythmus in ihr, dass sie zwar mit den Händen arbeiten, jedoch nicht lesen konnte, da dies den Fluss des heiligen Namens unterbrach. Mantras offenbarten sich aus ihrem Innern, zusammen mit den Visionen der ihnen entsprechenden Gottheiten. Auch heilerische Gaben zeigen sich. Es wird berichtet, dass Nirmalā in schneller Folge alle spirituellen Disziplinen praktizierte, die in den Hinduschriften und auch in anderen Religionen beschrieben werden. Sie sagte: „Um einen bestimmten Grad der Erleuchtung auf einem der Wege des Sādhanā zu erreichen, muss ein Mensch gewöhnlich wieder und wieder geboren werden. Aber für diesen Körper war es nur eine Angelegenheit von Sekunden …“

In der Vollmondnacht des 3.Augusts 1922 ereignete sich eine Art Selbst-Initiation, bei der sich auf feinstofflicher Ebene die entsprechende Zeremonie, ein Mantra, die Gottheit des Mantras und der Guru aus ihr selbst heraus manifestierten. Dabei wurde sie von einer unsichtbaren Kraft von ihrem Sitz emporgehoben, während nur noch ein Finger von ihr den Boden berührte. Sie sagte später: „Das Selbst war der Guru und das Selbst war auch der Schüler.“

Im Dezember 1922 begann Nirmalā ein dreijähriges Schweigen, auch das spontan und unbeabsichtigt. Inzwischen war sie mit ihrem Mann nach Dhaka, der Hauptstadt des heutigen Bangladesh, gezogen. Dort nahm sie zeitweise nur extrem wenig Nahrung zu sich, z.B. 4-5 Monate lang nur 3 Reiskörner täglich oder zwei Fingerspitzen Nahrung oder 23 Tage lang weder Flüssigkeit noch Essen. Sie sagte später, durch Sādhanā könne der Körper so umgewandelt werden, dass er die Nahrung aus seiner Umgebung bzw. der Luft aufnehmen könne und der Atemrhythmus könne eine Qualität annehmen, in der sechs Monate sechs Stunden entsprächen.

Ende 1924 verlor sie die Fähigkeit, sich selbst zu essen zu geben. Ihre Hand hielt häufig auf halbem Wege inne oder die Nahrung glitt ihr einfach durch die Finger, wenn sie versuchte, sie zum Mund zu führen. Um zu verhindern, dass sie ihren Körper verließ, wurde sie seitdem gefüttert. Sie sagte auch einmal: „Meine Nahrung sind Leben der Hingabe.“

Oft wollte ihr Körper gleichsam mit den Elementen wie Feuer, Wasser oder dem Horizont verschmelzen. Religiösen Festen verlieh sie durch ihre Anwesenheit ungeheure Intensität. Bei Kīrtanveranstaltungen wurde ihr Körper gleichsam „getanzt“, als ob er ohne Gewicht oder Substanz sei, wie ein Werkzeug einer unsichtbaren Kraft. Ihr Gesicht glühte in einem himmlischen Licht und ihr Körper rollte wie ein Papier im Wirbelsturm rasend schnell auf dem Boden umher. Danach kamen oft mantragleiche Hymnen in einer sanskritähnlichen Sprache aus ihr heraus, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Anschließend fiel sie häufig in Samādhi, einen Zustand völliger Versunkenheit, in dem ihr Körper kalt wurde, auf keinerlei Stimuli mehr reagierte und alle Lebenszeichen verlor. Später bemerkte sie dazu: „Es ist ein Zustand jenseits aller bewussten und überbewussten Ebenen, ein Zustand vollkommener Reglosigkeit aller Gedanken, Gefühle und Aktivitäten im Physischen und Geistigen – ein Zustand, der alle Lebensphasen hier unten transzendiert.“ Und: „Die verschiedenen Formen von Sādhanā, die ihr diesen Körper üben saht, waren nicht für diesen Körper bestimmt, sondern für euch alle.“ Dadurch konnte sie sich später spezifisch auf zahllose Sucher einstellen und ihnen weiterhelfen.

1926 gab ihr ein enger Anhänger, Bhaiji, den Namen „Ānandamayī Mā“, die „von Glückseligkeit durchdrungene Mutter“.

1927 begann Mā, Bengalen des öfteren zu verlassen. Sie kam mit vielen verschiedenen Menschen an ganz unbekannten Orten in Kontakt, denen sie ihre Liebe und Weisheit schenkte. Die aufsehenerregenden Samādhi-Zustände traten nicht mehr so häufig auf. 1930 reiste sie nach Südindien und 1932 verließ sie Bengalen ganz und reiste mit Bholanath und Bhaiji nach Nordindien, wo sie sich in der Nähe von Dehradun niederließen. Dort und in Uttar Kashi entstanden erste Ashrams. 1937 begab Mā sich mit einigen Begleitern auf eine Pilgerreise zum heiligen Berg Kailash in Tibet. Am 7.Mai 1938 verstarb Bholanath, ihr Mann. Mā’s Mutter, „Didimā“ lebte noch bis 1970 und wurde 1939 zur Sannyasini geweiht. Didimā initiierte selbst auch zahlreiche Schüler. Mā ließ diese Sannyas-Einweihung später noch einigen anderen ihrer männlichen und weiblichen Devotees geben, was zumindest für Frauen bis dahin nicht üblich gewesen war. Nach Didimā’s Scheiden war es auch möglich, in Mā’s Gegenwart Initiation (Dīksha) zu erhalten, ohne dass dies nach außen hin propagiert wurde. Prof.Bettina Bäumer sagte dazu: „Die Tatsache, dass Mā nicht darauf aus war, selber andere zu initiieren, ist das Merkmal eines wahren Heiligen. Es ging ihr nicht darum, irgendjemand zu bekehren. Man musste die Initiation wirklich wollen.“ Nach Mā’s Scheiden wurden einige Sannyasis zum Erteilen der Initiation autorisiert.

Von 1932 bis 1982 befand sich Mā fast ständig auf Reisen, vor allem durch Nordindien, und segnete, den Einladungen und Bedürfnissen ihrer Devotees folgend, eine ununterbrochene Folge religiöser Veranstaltungen und Feste mit ihrer Gegenwart. 26 Ashrams wurden in ihrem Namen gegründet, sowie ein Krankenhaus und ein Mädchen-Internat in Varanasi (Kanyapeeth) und eine Knabenschule (Vidyapeeth). Im November jeden Jahres wird seit 1952 ein Samyam Vrata, eine „Woche der Selbstdisziplin“ abgehalten, bei der die Teilnehmer fasten, meditieren, Kīrtan singen und den Vorträgen von Mahātmās zuhören.

Bedeutende Politiker wie Mahātma Gandhi, Pandit Nehru und seine Frau Kamala sowie Indira Gandhi, der kanadische Ministerpräsident Pierre Trudeau und der Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker kamen mit Mā in engen Kontakt. Ebenso traf sie Heilige wie die Mutter des Sri Aurobindo Ashrams, Swami Shivananda, Swami Chidananda, Neem Karoli Baba, Papa Ramdas, Maharishi Mahesh Yogi, Shri Haribaba, Swami Akhandananda, Sitaramdas Omkarnath, Daya Mata (SRF), Raihana Tyabji, Graf Dürckheim, Enomiya Lasalle, Frederick Leboyer und viele andere bekannte Persönlichkeiten, u.a. auch J.Krishnamurti.

Mā hielt keine Vorträge und schrieb keine Bücher, sondern antwortete spontan auf Fragen. Aus ihren notierten oder mit Tonband aufgenommenen Aussagen wurden Bücher zusammengestellt und übersetzt. Oft betonte sie, sie habe keine besondere „Mission“ und habe sich nur aufgrund des Sehnens der Menschen verkörpert. Sie bat jedoch alle, eine gewisse Zeit am Tag der Meditation zu widmen (mindestens 15 Min.), und je nach Veranlagung und eigener religiöser Ausrichtung entweder die Namen Gottes zu wiederholen, Atem-Achtsamkeit zu praktizieren, in die Stille zu gehen, Selbsterforschung zu üben usw. Sie vertrat keine standardisierte Lehre. Sie konnte die Prägungen (Samskāras) jedes Menschen wahrnehmen und sehen, was dieser in früheren Leben erfahren hatte. Deshalb war die Unterweisung für jeden einzelnen sehr individuell und nicht zu verallgemeinern. Oft sagte sie: „Schau, alles was ich dir sage, gilt nur für dich; anderen wird es nichts nutzen.“

Am 27.8.1982 kurz vor 20 Uhr verließ Mā ihren Körper im Kishenpur Ashram in Dehradun. Zum Shankarāchārya des Shringeri Maths hatte sie zuvor gesagt: „Bābā, dieser Körper hat keine Krankheit. Es ist die Anziehungskraft des Unmanifestierten, die all dies verursacht.“ 

Jay Mā

[1] um die Auswirkungen vergangener Handlungen auszugleichen

[2] Mā bezeichnete ihre Person häufig als „dieser Körper“, „ein kleines Kind“ oder „kleines Mädchen“.

[3] Verehrer der Göttlichen Mutter des Universums, vor allem in Form von Durgā oder Kali